Zu Besuch bei Heftig Cidre
Die Berner:innen unter euch waren diesen Sommer vielleicht mal in der alten Metzgerei Lehman in der Längasse beim Pop-Up von Heftig Cidre und Satellites of Love. Lehmans Metzgerei musste nach 70 Jahren sein Geschäft aufgrund von Fachkräftemangel schliessen. Von ehemals 22 Betrieben ist heute nur noch ein Einziger übrig. Wir haben uns natürlich sehr gefreut, dass neues Leben in die alte Metzgerei kommt. Noch mehr haben wir uns gefreut als wir gehört habe das nebst dem Gastroangebot das Label Heftig Cidre und das Naturwein Kollektiv Satellites of Love ihre Produktionen in das Lokal verlegen.
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Wir sind grosse Fans von Cidre. Cidre ist eine echte Alternative zu Wein. Durch seine Komplexität im Geschmack lässt er sich wunderbar zu Essen kombinieren und ist dabei leichter als Bier. Kopfschmerzen am nächsten Tag gibt’s bestimmt keine.
Wir verkaufen den Heftig Cidre seit einigen Jahren im Kitchener SUPPER und haben uns gefreut Bruno endlich mal zu treffen um mehr über seinen Cidre zu erfahren.
Ein Gespräch mit Bruno Bucher von Heftig Cidre.
Als erstes möchten wir von Bruno wissen, wie er dazu gekommen ist, seinen eigenen Cidre zu produzieren.
Als gelehrter Koch hat er sich immer schon für die Weinproduktion interessiert und wollte irgendwann seinen eigenen Wein auf den Markt bringen. Doch, so erzählt uns Bruno, hat ihm dazu irgendwo der Bezug gefehlt. Bern ist keine Weinregion. Durch seinen Beruf hat er oft Kontakt zu Landwirt:innen, wobei ihm bei seinen Besuchen auf dem Hof aufgefallen ist, dass die Äpfel, welche von den Bäumen fallen, einfach liegengelassen werden.
Als er dann zum ersten Mal den Cidre von Jacques Perritaz aus der Ciderie du Vulcain in Freiburg getrunken hat, wurde ihm klar, dass sich ein anspruchsvoller Cidre auch aus Schweizer Äpfeln produzieren lässt. Ein Getränk, das lebt, energiegeladen, trinkig und bekömmlich ist! Kurz darauf hat er begonnen, selber zu “pröblen”. Für die Äpfel musste er am Anfang nichts bezahlen, die konnte er einfach abholen.
Heute hat er ein ganzes Netzwerk von Landwirt:innen. Sie lesen ihm das Obst zusammen und sortieren es. Dafür kann er einen fairen Preis für die Äpfel bezahlen, was ihm wichtig ist.
Die Landwirt:innen haben alle einen Bezug zu ihren Hosteten und pflegen ihre Bäume immer noch fachgerecht, was heute nicht mehr selbstverständlich ist. Bruno hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Landwirt:innen zu beraten und sie dazu zu motivieren, alte und auch rare Sorten wieder zu pflanzen.
Die Frage, ob es denn immer weniger Hosteten geben wird, verneint Bruno zum Glück. In der Ostschweiz, vor allem im Thurgau, gibt es immer noch grosse Mostereien. Dort lohnt es sich für die Landwirt:innen noch, in die Produktion von Äpfeln zu investieren. Hier im Kanton Bern gab es früher auch viele Hosteten. Diese wurden aber aufgrund von Überproduktion und wegen Feuerbrandgefahr vom Staat subventioniert abgebaut. So gibt es im Kanton Bern nur noch kleine Mostereien. Man könnte die Äpfel auch zur Landi bringen, welche aber Geld für die Annahme verlangt. „Da lohnt sech s bücke nid“ (da lohnt sich das Bücken nicht) meint Bruno.
Wer sich Schweizer Most oder auch englischer Cider gewohnt ist, merkt schnell, dass die französische „methode ancestral“ etwas ganz anderes ist. Ein bretonischer oder normannischer Cidre ist leichter, komplexer und trockener als unser „suure Most“. Woran das liegt, fragen wir natürlich Bruno.
Der Hauptunterschied, erklärt Bruno, liegt bei den Apfelsorten. In der Bretagne wird ganz viel mit bitteren Äpfeln gearbeitet, welche es bei uns nicht gibt. Diese Sorten bringen eine Aromatik und Tiefe, welche wir mit unseren Äpfeln so gar nicht hinbringen würden.
Bei Heftig Cidre steht für Bruno die Frucht im Vordergrund. Sein Ziel: das typische Aroma einer Sorte in seinen Cidre zu transportieren und dieses in der Flasche zu konservieren.
Seine Äpfel kommen alle von Hochstamm Hosteten. Was das genau bedeutet, erklärt er uns:
Die natürliche Form eines Fruchtbaumes besteht aus einem hohen Stamm, an dem viele Äste abzweigen. Heute werden aber von Landwirt:innen bevorzugt Bäume mit eher niedrigem Stamm angebaut. Diese sind einfacher zu bewirtschaften, da direkt vom Traktor aus die Arbeiten wie das Lesen, Beschneiden und Bespritzen gemacht werden können. Niedrigstamm Obstbäume sind nicht sehr langlebig und produzieren nach einigen Jahren keine Früchte mehr. Dann müssen sie ausgerissen und neue gepflanzt werden. Im Gegenzug dazu werden Hochstamm Obstbäume mehrere hundert Jahre alt und tragen auch dann noch jedes Jahr Früchte.
Sie unterscheiden sich auch beim Säure- und Zuckergehalt. Das Tafelobst von niedrigstämmigen Bäumen eignet sich nicht für die Cidreproduktion. Farbe, Form und die Haltbarkeit stehen bei diesem Obst im Vordergrund. Der Einsatz von Dünger führt dazu, dass die Äpfel zu viel Nährstoffe haben, was sie für die Cidreproduktion zu schnell vergären lässt.
Deshalb greift Bruno zu den Früchten von Hochstammbäumen. Diese sind klein und stickstoffarm und haben vergleichsweise wenig Hefenährstoffe. Genau das, was man für die Cidreproduktion will.
Neu: Nämlich eine möglichst langsame Gärung, die, wenn das Wetter kalt wird, von selbst stoppt, obwohl noch etwas Restsüsse vorhanden ist. Zu diesem Zeitpunkt wird der Cidre in die Flasche abgefüllt und ruht dann bis in den Frühling. Wenn das Wetter wieder wärmer wird, beginnt die Hefe, den Restzucker zu verstoffwechseln. Bei dieser Restgärung, welche in der Flasche passiert, wird unter anderem der Kohlenstoff (Kohlensäure?) produziert.
Anfangs Juni veranstaltet Bruno dann eine öffentliche Jahrgangspräsentation, dabei wird jeder Cidre geöffnet und degustiert. Aufgrund dieser Degustation wird entschieden, welcher Cidre ready für den Verkauf ist und welcher noch weiter gären muss. Manche Cidre werden bis zu einem Jahr zurückbehalten.
Je Gerbstoff- und Bitterstoffreicher die Äpfel oder Birnen sind, desto länger ist der Cidre haltbar. In der Bretagne gibt’s super bitteres Obst, das man so nicht essen könnte. Bruno gibt uns während des Interviews eine reife Wasserbirne zum Probieren. Wir merken schnell, die ist viel zu bitter und lässt sich kaum runterschlucken. Sie ist sehr aromatisch, aber irgendwie „harzt“ es im Hals. Bruno braucht für seinen Cidre oft Zitronen-Birnen. Von dieser Sorte kennt er nur einen einzigen Baum. Solches Mostobst ist viel gröber gefasert und lässt sich dadurch besser pressen.
Bruno produziert im Schnitt zehn verschiedenen Cidre-Abfüllungen, manchmal auch mehr. Es gibt immer wieder etwas Neues auszuprobieren. Es passiert ihm auch regelmässig, dass er neue Obstsorten oder interessante Bäume entdeckt, die er testen will.
Zum Schluss nimmt uns natürlich noch wunder, was jetzt in der alten Metzgerei von Lehmann passiert?
Sowohl die Cidre- wie auch die Weinproduktion brauchen viel Zeit. Es gäbe immer wieder etwas zu überprüfen, was im Kollektiv einfacher ist. Man könne sich gegenseitig unterstützen und bei den langen Nachtschichten nach der Ernte sei es auch schön, wenn man nicht alleine im Keller steht, erzählt uns Bruno. Das soll Lehmanns sein, hinten Wein- & Cidre-Produktion und vorne ein Fenster in die Stadt. Ein Ort zum Verweilen, sowohl für die Produzent:innen wie auch für die Gäste.
Da im Moment noch die Gastrobewilligung fehlt, betreibt das Kollektiv zur Zeit einen Laden mit Lebensmitteln aus der Region und natürlich mit dem Cidre und Naturwein. An den wenigen Tischen lässt sich wunderbar Apéro trinken und wenn man Glück hat, kann man dem Treiben im Keller zuschauen. Ab nächstem Jahr soll dann eine Weinbar entstehen.
Pictures by Raffael Waldner